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Erfroren in einer Sommernacht

Adelheid Duvanel: Späte Entdeckung

  • Michael Opitz
  • Lesedauer: 4 Min.
Ihre ersten Texte hat sie mit 25 veröffentlicht. Es dauerte aber weitere 15 Jahre, bis sie einen eigenen Erzählungsband vorlegte. Dem Werk der Schweizer Autorin Adelheid Duvanel (1936-1996), die zu Unrecht immer noch weitgehend unbekannt ist, gilt nun ein Band, der auch sieben bisher in Buchform noch nicht erschienene Erzählungen enthält. Charakteristisch für diese frühen Texte, die sie zwischen 1961 und 1965 unter dem Pseudonym Judith Januar in den Basler Nachrichten veröffentlichte, ist ein spielerischer Ton, eine auffällige Leichtigkeit im Erzählen. Es hat den Anschein, als würden die Worte förmlich aufs Papier schweben. Doch im Widerspruch zu der virtuos gebrauchten Sprache stehen die Figuren, die nicht zu der Welt passen, in der sie sich bewegen. Die surreal erscheinenden Einblicke erinnern an Bilder von Max Ernst: »Kaspar liebte es nicht, wenn der Nebel die Kronen der Bäume versteckte und der Wind den Blumen den Mund zuhielt, so dass sie wie tote Vögel auf der Erde lagen.« Ein unverwechselbarer Ton: Adelheid Duvanel setzt Wörter zueinander in Beziehung, die sich auf den ersten Blick auszuschließen scheinen. Sie übersetzt Erscheinungen der Wirklichkeit in Sprache, und man möchte meinen, sie würde dabei das Wahrgenommene verfremden, doch vermag sie die ihr fremd bleibende Wirklichkeit nur in solchen bizarr wirkenden Beschreibungen darzustellen. Das macht das Irritierende und zugleich Meisterhafte an ihren Erzählungen aus: Sie sind von einem faszinierenden Sprachduktus und zugleich verstörend. Sprachlich bis ins Kleinste durchkomponiert, wird in den Texten eine Welt in Augenschein genommen, die wir kennen, aber indem die Duvanel von ihr erzählt, erfahren wir sie anders. Ihre Figuren sind oftmals traurig und einsam - sie haben den Kontakt zur Wirklichkeit verloren und leben unbeachtet. Diese Unauffälligen verwahren mit großer Sorgfalt Erinnerungsstücke, an die sich einst Hoffnungen banden - Briefe, deren Absender längst andere Beziehungen eingegangen sind oder Uhren, die Verstorbenen gehörten. Andere Figuren versuchen den Ausbruch aus ihrer Einsamkeit. In »Der Schal« beobachtet eine Frau aus ihrer Wohnung einen im gegenüberliegenden Haus wohnenden Pianisten, der, wie sie vermutet, allein lebt. Sie strickt für ihn einen Schal. Aber in dem Moment, als sie mit dem Geschenk zu ihm geht, bleibt nichts mehr, wie es war. Eine ähnliche Ernüchterung erlebt jene Frau, die in der Erzählung »Das ist nun eben so, lieber Gott« dem Werben eines Mannes erliegt. Sie stimmt zu, ihn zu heiraten, und der Freier verfällt in Siechtum. Die Frau gibt, gebunden an ihr Versprechen, alles auf, was zu ihrem früheren Leben gehörte, fügt sich in ihr vermeintliches Schicksal. Und ihr Mann wirft ihr auch noch vor, dass sie immer so niedergeschlagen ist. Oder die psychisch Kranken in diesen Geschichten: Die Duvanel zeigt sie mit allen ihren so genannten Absurditäten, durch die sie scheinbar im Widerspruch zur Welt stehen. Dabei gelingt es ihnen gerade durch die Merkwürdigkeiten ihrer Weltwahrnehmung, die Wirklichkeit in eine erhellende Schieflage zu bringen. Ein Vergleich dieser frühen Geschichten mit denen aus dem letzten Band »Der letzte Frühlingstag« würde auf beeindruckende erzählerische Kontinuität verweisen. Aber ganz so ungebrochen ist das Werk der Erzählerin nicht. Auffällig ist, dass sie in dem Band »Gnadenfrist« (1991), die sie auszeichnende sprachliche Virtuosität der frühen Texte zugunsten einer formellen Strenge aufgegeben hat. In den Geschichten dieses Bandes legt sie sehr viel entschiedener Wert darauf, das tragische Ende, das es fast immer in ihren Texten gibt, erzählerisch präzise auszuformulieren. Ab Mitte der 90er Jahre knüpft die Duvanel - deutlich bereits in dem Erzählungsband »Die Brieffreundin« (1995) - als Erzählerin dann wieder an ihre schriftstellerischen Anfänge an. Aber nunmehr geht sie mit ihren überraschenden sprachlichen Fügungen noch behutsamer um, wendet sie die ihr zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel noch entschiedener an, um zu verstören. Die Abgründe, auf die Adelheid Duvanels Erzählungen zusteuern, liegen nicht in einer unbestimmten Ferne, sondern finden sich in nächster Nähe. Unbestechlich blickt sie in die so genannte zivilisierte Welt und entdeckt Einsame, die unter der Last von Enttäuschung jegliches Hoffen verloren haben, die verwirrt sind und erfahren, dass sie nicht kompatibel sind. Adelheid Duvanel ist 1996 in einer eiskalten Sommernacht erfroren. Sie hatte im Freien übernachten wollen, was sie häufig tat. Für die Meteorologen war diese extrem kalte Julinacht ein interessantes, aber inzwischen längst vergessenes Phänomen. Adelheid Duvanel hingegen bleibt weiter zu entdecken. Adelheid Duvanel: Beim Hute meiner Mutter. Nagel & Kimche. 173S., geb., 19,90 EUR.
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